Vorwort

Das Phänomen des Ferox-Vampyrismus in seiner Gänze nachzuvollziehen kann bisweilen ein schweres bis unmögliches unterfangen darstellen. Liegen doch der vampyrische Blutrausch, wenn man es so nennen möchte und die animalischen Empfindungen durchaus im engen Zusammenhang des Erlebens sanguiner Vampyre. Die vermeintlich exotische Note des Animalis, zu deutsch tierischem, wird daher nicht selten entweder dem Vampyrismus selbst oder aber dem Bereich der Therians zugesprochen. Das es sich dabei um feine, jedoch für die Enddefinition essentielle Unterschiede handelt, wird hierbei oftmals vorschnell außer Acht gelassen.

Ferox-Vampyrismus ist als eigenständige Spielart des Vampyrismus zu verstehen und als solche eine unabhängige Variation sanguiner Praxis. Diese dem Vampyrismus unreflektiert einzuverleiben oder aber komplett getrennt davon zu betrachten, würde jenen nicht gerecht werden, welche sich in ihm wiederfinden.

Natürlich kann an dieser Stelle die Frage laut werden welchem Zweck es dienlich sein mag, sanguines, vampyrisches Erleben nach dessen Facetten beurteilen oder gar kategorisieren zu wollen. Diese Frage mag ihre Berechtigung haben. Geht es letztlich doch um die Befriedigung der tiefsten inneren Bedürfnisse, welche wir auch als Blutdurst bezeichnen. Und doch wird an dieser Stelle der blasphemische Versuch einer detaillierten Differenzierung gewagt. Dabei soll es nicht um die wissenschaftliche Entmystifizierung vampyrischen Erlebens gehen, sondern vielmehr einen Versuch darstellen, abstraktes Erleben in dessen spezifischer Ausprägung punktuell einzufangen, und so ein tieferes Verständnis zu ermöglichen.

Definitionen

Vorab sollen daher grundsätzliche Begrifflichkeiten angeführt und in ihrer expliziten Bedeutung für den Ferox-Vampyrismus kurz erläutert sowie in Bezug gebracht werden. Im Anschluss vertiefen szenische Darstellungen in Form von anonymisierten Erfahrungsberichten das situative Erleben.

Wenn von Ferox-Vampyrismus die Rede ist erscheint es unerläßlich, dessen linguistische Herkunft näher in Augenschein zu nehmen. Der Begriff Ferox entstammt in seiner Grundform dem lateinischen Wortschatz und lässt sich mit „wild, trotzig, ungestüm, unbändig, kriegerisch, unbändig, zügellos, unerschrocken als auch mutig“ übersetzen. All diese Begriffe assoziieren die enorme Kraft, welche dem Ferox-Vampyrismus innewohnt. Die sanguine Praxis, also die Aufnahme von Blut, dient hierbei als Katalysator welche den Prozess des Shiftens maßgeblich forciert und den innewohnenden Animalis aktiviert.

Shifting als englischer Begriff für einen Wechsel bzw. eine Verschiebung wurde bereits erfolgreich im Bereich der Therianthropie vom altgriechischen θηρίον therion „wildes Tier“ und ἄνθρωπος anthropos „Mensch“ abgeleitet und etabliert. Er bezeichnet die Verschiebung charakteristischer Persönlichkeitsanteile eines Menschen in ein Tier oder auch Wesen, das sowohl menschliche sowie tierische Eigenschaften besitzt. Diese sogenannte Theriomorphose ist kulturell weit verbreitet und gehörte bereits zu Zeiten der Naturvölker zum anerkannten Weltbild der Menschheit. Im Laufe der Jahrtausende gesellschaftlich in den Hintergrund gedrängt, erlebt die Therianthropie gerade in Form der sogenannten Gruppe der Therians eine neue Aufmerksamkeit. Diese, der vampyrischen Subkultur zugewandte und in ihrer Eigenständigkeit vollends anerkannte Gemeinschaft, weißt gerade in Bezug auf dem den Vampyrismus innewohnenden Blutdurst signifikante Unterschiede auf. Während der Großteil sanguin lebender Vampyre eine Abstinenz als unangenehm, schwächend sowie mit körperlichen Beschwerden verbunden definiert, erleben Therians lediglich im Zustand des shiftens entsprechende, wenn auch deutlich abgemilderte Symptome des Blutdurstes. Darüber hinaus scheinen solche Beschwerden im Alltag nur den Vampyren vorbehalten zu sein. Anders verhält es sich bei der Gruppe der Ferox-Vampyre, welche sich sowohl dem allgegenwärtigen Blutdurst ausgesetzt sehen, als auch über einen mehr oder weniger direkten Zugang zu ihrem innewohnenden Animalis verfügen.

Das Verständnis eines Animalis entstammt ebenfalls dem lateinischen Animalia dessen Wurzeln auch tief im althochdeutschen tior wiederzufinden sind und sinngemäß als Seelentier sowie wildem Tier verstanden wird. Darüber hinaus beinhaltet der Begriff des Animalis ein Verständnis von Animus und Anima, welche nach Carl Gustav Jung als Teile der Seele, analytische Archetypen des menschlichen Seins verkörpern. Im Ferox-Vampyrismus finden sich eben diese animalischen Anteile als dominante Bestandteile der Persönlichkeit wieder und übernehmen während der sanguinen Praxis die Oberhand. Gerade der muskuläre Kontrollverlust welcher während der Verschiebung der Persönlichkeitsanteile auftritt, lässt sich gut anhand der sogenannten „Pfotenbildung“, also einer Verkrampfung der Extremitäten, als auch an unkontrollierten Muskelkontraktionen im Rahmen einer erhöhten Körperspannung erkennen. Diese Symptome sind grundsätzlich unbedenklich und bedürfen keiner weiteren medizinischen Indikation. Ferox-Vampyre beschreiben darüber hinaus eine erhöhte Sensibilität in Bezug auf äußere Reize in Form von auditiven, taktilen, visuellen sowie olfaktorische Wahrnehmungen, welche bisweilen als extrem wenn nicht sogar schmerzhaft wahrgenommen werden.

Erfahrungsberichte

Diese begrifflichen Erläuterungen sollen nun dazu dienen, die nachfolgenden Schilderungen entsprechend interpretieren und nachvollziehen zu können.

Michaelis (Name geändert) 33 Jahre:
Der Raum des Geschehens wurde abgedunkelt. Decken und Kissen liegen bereit. Schalen mit stillem Wasser stehen etwas abseits in einer Ecke des Raumes auf dem Boden. Die Ferox-Vampyre sind in leichte, dunkle Kleidung gehüllt, welche unempfindlich und doch ein Höchstmaß an Beweglichkeit aufweisen. Ringe und sonstiger Schmuck wurden zuvor abgelegt. Die Blutentnahme-Utensilien liegen griffbereit auf einem kleinen, stabilen Tisch. Der Raum bietet ausreichend Platz, der Boden ist frei. Scharfkantige Gegenstände sind ebenfalls vorsorglich beiseite geräumt worden. Im Raum befinden sich nur jene, welche sich in den nächsten Minuten nähren wollen. Ein erfahrener Ferox leitet den Prozess um bei Bedarf zeitnah eingreifen zu können. So vorbereitet wird die Wahl getroffen, wer sich als erster Donor zur Verfügung stellt. Allen ist bewusst, dass dieser Ferox seine eigenen Impulse während des Vorgangs bewusst kontrollieren, wenn nicht gar unterdrücken muss. Sollte dies nicht mehr möglich sein, wird der erfahrene Ferox eingreifen und die Blutentnahme beenden um alle Teilnehmenden zu schützen.

Alle Beteiligten begeben sich auf den Boden um die Spende zu erfahren. Die Nadel wird gesetzt, das Blut beginnt zu fließen. Der unverkennbare Duft von Eisen mischt sich in die Luft, welche elektrisiert die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zieht. Ein Raunen geht durch die Menge. Denen, welche noch auf den Beinen waren, versagen diese ihren Dienst, so dass sie sich nunmehr auf allen Vieren der Quelle des Begehrens nähern. Wortlos steigt die Gier nach dem roten Saft wie Nebelschwaden an einem späten Novemberabend. Mehr und mehr verlieren Raum und Zeit an Bedeutung. Alle Sinne sind zum bersten angespannt. Das menschliche Sein tritt beständig hinter den Animalis, welcher sich nun seinen Weg an die Oberfläche bahnt. Gedanken schrumpfen zu Erinnerungen eines vergangenen Selbst. Der metallisch-salzige Geschmack erstickt gänzlich die letzten Kontrollimpulse. Warm rinnt das Blut die Kehlen entlang. Bringt jede Zelle des Körpers zum vibrieren. Ekstatische Begierde und animalische Instinkte lassen die Muskulatur anspannen. Schemenhafte Bilder von Wäldern, Bergen sowie erlegtem Wild wechseln sich ab und erzählen ihre Geschichte des innewohnenden Animalis. Die Eindrücke sind hierbei so mannigfaltig und individuell wie jeder Ferox selbst. Hände krampfen, den Kehlen entspringen Knurrlaute. Die animalischen Anteile übernehmen vollends die Kontrolle der Szenerie. Balgende Körper bestimmen das Bild, Rudelhierarchien und Rangfolgen werden in spielerischen Kämpfen ausgehandelt.

Erst nach und nach beruhigen sich die Gemüter. Das Knurren verstummt, wird von einem erschöpfen Hecheln abgelöst. Die Ferox haben sich in schützende Ecken zurückgezogen oder liegen eng zusammen gekauert beieinander. Wärmende Decken und Wasserschalen helfen, bei der Rückkehr ins diesseits. Es dauert Stunden, bis alle die Kontrolle über ihre Körper zurückgewonnen haben werden. Und doch bleibt die intensive Erinnerung dieser Geschehnisse als tief verwurzelter Bestandteil ihres Seins erhalten.

Tatyana (Name geändert) 24 Jahre:
Ich habe getrunken. Es war intensiv, euphorierend, exstatisch. Dunkelrote Rinnsäle bedecken immer noch mein Gesicht. Ich bin dem Ruf gefolgt, welcher mich auf diese Lichtung geführt hat.

Mein Körper pulsiert vor Energie. Ich vernehme den Schlag meines Herzens. Ein Rhythmus, eine Aufforderung der ich nicht widerstehen kann, der ich nicht widerstehen will. Ich lauere in angespannter Haltung. Meine Hände ruhen auf dem Boden, bereit meinen Instinkten zu folgen. Ich sauge die mich umgebenden Sinneseindrücke begierig auf. Rieche das feuchte, kalte Gras, höre Insekten und das Kleinwild im Digicht. Die Oberfläche meiner Haut kribbelt wie elektrisiert. Jede Schwingung dröhnt wie ein kleines Erdbeben in mir nach.

Meine Augen erblicken fasziniert den Mond, wie er sich voll und satt über das Firnament bewegt. Der Tau glitzert. Ein vergängliches Kunstwerk dessen Schönheit kaum in menschliche Worte gezwängt werden kann ohne das es einer Beleidigung gleichkäme.

Eine Bewegung im Augenwinkel. Ich verspüre den unbändigen Impuls zu laufen und gebe diesem nach. Der kühle Wind streift meine Wangen, die Härchen meiner Arme. Ich fühle mich befreit. Eins mit dem grandiosen Feuerwerk an Sinnesreizen.

Der metallische Geschmack von Blut liegt schwer auf meiner Zunge. Eine Erinnerung, ein Versprechen dessen, was mich zu dem macht, was ich bin. Ich lasse mich fallen. Der erdige Geruch des Bodens vermischt sich mit dem des Rasens. Ich knurre vor Befriedigung. Wälze meinen erhitzten Körper und bin ganz ich selbst.

Dominik (Name geändert) 36 Jahre:
Das Licht sticht wie kleine, feine Nadeln in meinen Augen. Meine Haut gleicht Seidenpapier. Bleiern liegen meine Muskeln um meinen Körper. Ich atme flach. Das Sandpapier in meiner Kehle schreit nach kühlem nass. Ich habe getrunken. War beseelt vom intensiven Rausch des Blutes. Zusammen mit meinen Brüdern und Schwestern war ich auf der Reise. Einer Reise zu uns selbst. Im Geiste durchquerten wir Wälder, Savannen und tiefe Bergtäler. Wir rauften und jagten.

Nun liege ich hier. Zurück in meinem wohlvertrauten Körper. Noch spüre ich das Rauschen des Blutes in meinen Adern wie klare Quellen, welche sich Ihren Weg durch hartes Gestein bahnen. Dieser Zustand ist mir wohlvertraut. Wie so oft sehne ich mich nun nach der schützenden Ruhe einer Höhle.

Ich konzentriere mich. Ziehe das Gewicht meines Körpers in Richtung einer vielversprechenden Ecke. Jemand legt mir behutsam eine Decke über. Ich bin dankbar. Gedämpftes Licht umgibt mich. Ich kann ausruhen. Etwas wird vor mir abgesetzt. Ich erkenne es durch die Schleier meiner Erinnerungen als Schale mit Wasser. Mein Gesicht taucht ein. Kühl umschließt es meine Lippen, meine Wangen, meine Stirn. Blendet die Härte des mich umgebenden Raumes aus. Begierig labe ich mich an diesem Quell. Linderung für meinen rauen Hals.

Die Erschöpfung übermannt mich. Fordert ihren Tribut. Ich rolle mich zusammen. Stille. Langsam, ganz sacht und unauffällig schleicht sich das Gefühl zurück in meine Arme und Beine. Meine Finger lösen sich aus der Pfotenstarre. Einzelne Gliedmaßen zucken. Ein gutes Zeichen. Es wird noch etwas dauern bis ich mich wieder in der Lage sehe, aufzustehen. Doch das ist es wert. Jeden Augenblick welchen ich so erlebe ist ein Geschenk. Lässt mich ganz sein. Ganz mit mir und der Welt.

Nachwort

Ferox-Vampyrismus ist nicht leicht zu erklären. Er ist komplex, individuell und entzieht sich dabei jeglichen rationalen Ansätzen. Und doch gibt es ihn. Tief im Inneren schlummert er in vielen Vampyren. Bricht zeitweise oder auch regelmäßig hervor. Kann verwirren, irritieren. Und doch ist er so natürlich wie der Vampyrismus selbst. Dieser kleine Ausflug in die Welt der Ferox-Vampyre soll Verständnis schaffen. Eine Offenheit für die Vielfalt und Pluralität mit welcher Vampyrismus gelebt werden kann und sich konfrontiert sieht. Er soll sagen: ”Ihr, welche da draußen existiert, seid nicht allein.” Es gibt Worte. Worte die beschreiben, wer oder was ihr seid. Ein Teil des großen Ganzen. Ein Teil der Community.

Geschrieben von Benu Re Thoris von Haus Chonasaru.
Veröffentlicht am 18. Apr. 2018.

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